Donnerstag, 20. August 2015

Warten, warten, warten - ein Volkssport

(geschrieben am 19.8.2015) Guten Morgen, du dreckige, rostige, nach Kohl und Fleisch riechende Fähre von Wanino nach Cholmsk (Insel Sachalin). Ich konnte sogar einigermaßen schlafen trotz hartem Holzbett, auf dem man quasi ohne Matratze lag.

Mein Gastgeber in Sowjetskaja Gawan (direkt neben Wanino und trotzdem fährt man eine Stunde Bus von einer Stadt in die andere) hatte mir das reserviert, was er mangels Geld für sich selbst gebucht hätte: ein Bett in einer 8-Bett-Kajüte. Ich konnte das nach über einer Stunde in der Schlange am Bahnhof zum Glück noch mal in eine 2-Bett-Kajüte ändern lassen. Nun sitze ich hier auf diesen uralten schmierigen, weichen Ledersesseln und versuche, durch die vergilbten Fenster irgendwas draußen zu erkennen - aber gut, da ist nur Meer. Gegen 13-14 Uhr sollen wir da sein. Damit wären wir etwa 18 Stunden an Bord gewesen.

Ankunft in Cholmsk auf Sachalin

Cholmsk sieht aus, als sei es in den 70ern stehengeblieben

Noch mal Cholmsk. Hier steht heute der Zürcher Hafenkran :)

Im Hintergrund saftige grüne Berge und wie immer auf Sachalin Nebel




Abfahrt in Wanino - nach ewigen Wartereien und Kontrollen darf man endlich aus dem stickigen Bus und zur Fähre laufen,
Die Fähre ist hauptsächlich für Waggon- und Schwertransporte da, Menschen sind da vielleicht gerade mal 200 drauf gewesen. Kein Wunder, wenn man dafür erst mal 24 Stunden von Chabarowsk mit dem Zug an den Hafen fahren muss (und dann noch mal 18 Stunden auf der Fähre verbringt und am Ankunftsort noch mal 2 Stunden Bus fahren muss).

Waggon-Inspektion von oben (untendrunter fahren die Lastwagen und Bahnwaggons durch, bevor sie auf die Fähre dürfen).

Ausfahrt aus dem mit Rohmaterialien und Kränen übersäten (und wie ein Hochsicherheitstrakt gesicherten) Hafen  von Wanino.
Industrial Romanticism

The ferry windows hardly allow you to see through them anymore

The telephone of my dreams is on this ferry
Wahnsinn ist, wie unglaublich schwer es ist, auf diese eigentlich nicht so weit vom Festland entfernte Insel Sachalin zu kommen, wenn man nicht fliegen will: um per Zug und Fähre hierher zu kommen, braucht man von Khabarowsk aus, also von der nächsten großen Stadt aus, fast drei ganze Tage - und das für eine über Luftlinie gerade mal etwa 1.000 Kilometer lange Strecke (also einmal von Flensburg nach Berchtesgaden) ohne größere Berge.

Und es gibt nur eine einzige Fährverbindung auf diese riesige Insel! Verständlich, dass das früher so war, vor 1991, als die Insel noch eine Militärsperrzone war. Aber heute?

Das ist der Weg, wie ihn Google vorschlägt. 21 Stunden muss man mal 2,5 nehmen, um der Realität näherzukommen.
Zunächst 25 Stunden in einem Bummelzug bis nach Sowjetskaja Gavan/Wanino. Dort dann mit dem Bus wohl eine halbe Stunde zum Bahnhof (Ich habe mir die direkte Weiterfahrt und die damit verbundene Warterei und Steherei erspart und bin eine Nacht in Sowjetskaja Gavan bei Bekannten geblieben). Dann im Bahnhof warten, bis Tickets verkauft werden. In meinem Fall war das 14 Uhr, der Zug wäre um 9 Uhr angekommen. Dann mehr als eine Stunde in der Schlange stehen, während sich immer wieder andere Leute vordrängeln.

Blick von meinem "Schlaf-Regal" im "Platskartnij"-Waggon ("dritte Klasse")

Für die Kinder war es streckenweise nicht einfach, ruhig zu bleiben, wenn man 25 Stunden im Zug sitzen/liegen muss.
Warten in der schwer zu erkennenden Schlange am Hafen-Bahnhof von Wanino, in die sich immer wieder neue Leute reindrängeln.
So fühlt sich das dann an (aus einem Facebook-Chat mit einem Freund kopiert):

"I am on the ferry in sovyetskaya gavan/ Vanino waiting for departure

My whole day has consisted of waiting for this departure

It is still socialism here

Everything looks like it

And you have to wait forever for a simple thing like a ferry ride

First you don't even know if there will be a ferry.

You need to call in the day before though anyway and reserve a bed in a каюта.

The next day you need to call in at 9 in the morning to inform yourself if there will be a ferry today and when tickets will be sold.

If there is a ferry today, they tell you starting when you can buy the ticket at the vokzal (Bahnhof).

Today this was at 14:00, 3 hours before one was supposed to be able to get on the ferry

So I go to the vokzal at 13:50, there is already a huge line queuing up at the kassa

There I stand and wait for more than one hour and 15 minutes

Until it's finally my turn

Of course there is only one woman at the kassa so they can't process the people faster. When I finally get my turn, a man to the left tries to sneak in. People do this here all the time. It already happened to me at the vokzal in Khabarovsk. How kulturlos!

But I make sure he doesn't get my turn.

Whenever I am at the kassa somewhere, at least two other people lean in on me from the left and right. Нету личного пространства. They see my money, my passport and hear the whole conversation. It is very shameful for me, because they can hear I am a foreigner

After buying the ticket, they tell you to just sit in the vokzal hall and wait until some announcement of a "red bus to the parom" is made through loudspeakers

But no one tells you when this announcement will be. No one knows when exactly the ferry will actually leave. You just sit there and wait and hope that you didn't understand anything wrong. I asked several people many times because I was afraid to miss this красный автобус на паром (red bus to the ferry).

Two hours later, the announcement is made, but the loudspeakers are probably still from 1978, so I didn't understand anything. Even the Russians next to me understood only "avtobus".
But turns out it was that bus.

Standing in this packed bus for another 45 minutes and going through yet another control on a heavily guarded military-lookalike type of a harbor, we finally get to the parom. There we have to wait another 30 minutes, guarded by policemen. Finally we can board the ferry

Now it is leaving.

I hope it will be alright. I don't feel very safe here right now. Normally in Russia that is not much of a problem for me

But with so many soldiers, strange people etc. here it feels different."



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